Station 1: Verdistraße

 

Früher führte die Verdistraße den Namen Hofstraße. Die Hoheiten fuhren von Nymphenburg auf Besuch zu den sommerlichen Gartenfesten bei den Blutenburger Schlossherren. Über die zwei Kilometer langen Baumreihen bewegten sich die Equipagen der Wittelsbacher Hoheiten. Mit dem Wort Equipagen waren die prachtvollen Kutschen gemeint, mitsamt der ganzen  Ausstattung: der Anspannung, Zahl und Rasse der Pferde, und auch der Kleidung von Fahrer und Dienern.
Damals war die Verdistraße eine herrliche Ahornallee. „Immer noch, wenn ich an diesen schwarzen Tag Obermenzings denke, klingt mir in den Ohren das Ächzen und Krachen der Bäume, als sie gefällt wurden. Sie mussten dem Moloch Verkehr geopfert werden,“ schreibt Susi Roth in den Menzinger Geschichten. (Moloch ist ein Wort aus der Bibel. Es bezeichnete ursprünglich Opfergebräuche. Später wurde es verwendet für eine Macht, die alles zu verschlingen droht.)
Damals, vor dem Aufkommen des Autoverkehrs, verwandelte im Frühjahr der Blütenstaub der Ahorhbäume die Straße in einen hellgrünen Teppich. Ende Oktober, wenn die Allee in den schönsten herbstlichen Farben prangte, kam von Nymphenburg her ein langer Jagdzug nach Menzing. Denn Menzing war damals wildreich, und einmal im Jahr wurde hier die große Wildjagd abgehalten.
Fünfzehn bis zwanzig Kutschen wurden gezogen von den schönsten Pferden des königlichen Marstalls. An den Seiten standen winkend die Schulkinder. Prinzregent Luitpold in seinem vierspännigen Gefährt nickte ihnen huldvoll zu. Dann folgten die jagdfreudigen bayerischen Hoheiten, Prinz Franz, Prinz Alfons und Prinz Ludwig-Ferdinand. Sie warfen den Kindern schokoladene Silbertaler zu.
Ganz Menzing war an diesem Tag auf den Beinen. Am wichtigsten hatten es die Buben. Sie betätigten sich als Treiber bei der Jagd. Als Lohn bekamen sie eine Mark, zwei Knackwürste und ein Kracherl beim Alten Wirt. Das war etwas ganz Besonderes.
Nach dem Tod des Prinzregenten Luitpold 1912 war Schluss mit der alljährlichen großen Auffahrt. Sein Sohn und Nachfolger kam zur großen Enttäuschung der Menzinger mit dem Automobil zur Herbstjagd.
Und heute? …Autos fahren im Schnitt pro Tag Richtung Autobahn Stuttgart. Wie viele wären es, wenn die Verdistraße wieder Ahornallee würde? Wie wäre es, wenn sich Fußgänger und Radfahrer abgeschirmt von Bäumen und Sträuchern bewegen könnten? Wenn es einen Zebrastreifen gäbe? Dann wäre Obermenzing nicht mehr von der Straße in zwei Teile zerschnitten.